Angekommen
Die ersten Wochen in Berlin waren aufregend und zugleich geprägt von Zweifel. Einem Zustand zwischen Himmel-hoch-jauchzend und zu-Tode-betrübt. Mir fehlte der freie Blick auf den Mond, die Sterne, die Möglichkeit, einsame Spaziergänge durch menschenleere Wälder zu unternehmen. Eben mein Muster des Wegtauchens und Aussteigens, wenn ich mich nicht zeigen wollte. Meine Rahmenbedingungen waren weggebrochen. Meine ganz persönliche Mogelpackung des Wohlfühlens existierte nicht mehr.
Ich fühlte mich in der großen Stadt oft nackt und unsicher. Dem Leben ausgeliefert. Und das obwohl ich mit meinen Kindern war und mit Hilfe toller, uneigennütziger Menschen ganz schnell eine schöne Altbauwohnung gefunden hatte. Eine bezahlbare Wohnung mit hoher Decke und großen Fenstern. Eine Wohnung, von der ich schon als Kind geträumt hatte. Im heutigen Berlin ein kleines Wunder.
Der Tag an dem Berlin das 25. Jubiläum zum Mauerfall in Form einer Lichtgrenze feierte, war der Tag an dem ich meine Wohnung bezog. Tagsüber hatten wir noch gestrichen, ausgepackt, eingeräumt und um geräumt. Und abends, todmüde, begab ich mich mit meinem erstgeboren Sohn auf eine Reise entlang der ehemaligen Mauer, die Berlin und seine Bewohner nahezu 30 Jahre so gnadenlos getrennt hielt.
Mit jedem Schritt tauchte ich tiefer ein in die Magie der Stadt. Tausende von Lichtkugeln säumten die Straßen. Menschen, die still und andächtig gingen, Menschen, die sich einfach in den Armen lagen und an manchen markanten Punkten miteinander in die Vergangenheit dieser unvergleichlichen Stadt reisten. Alte Menschen, die inne hielten, überwältigt von ihren Gefühlen, geschüttelt von den Dämonen aus der Vergangenheit, Dämonen, die einen Ausweg suchten, um sich endlich für immer zu verabschieden. Dankbarkeit und Fassungslosigkeit über das Geschehene lagen ganz nah beieinander. Gruppen junger Menschen, die sonst lärmend, lachend, singend und mitunter auch lallend durch die Straßen zogen, gingen plötzlich still Hand in Hand bzw. Bierflasche an Bierflasche, eingetaucht in diesen besonderen Moment.
Ich war einfach überwältigt von der Tiefe und der Ausdruckskraft, die Leben haben kann. Überwältigt von dem Gefühl der Kraft in mir. Überwältigt von der Gewissheit, dass alles möglich ist im Leben, wenn man den Mut hat, Entscheidungen zu treffen, eine Liebe zum eigenen Selbst aufbaut und dafür auch einsteht.
In diesem Moment habe ich mir das Versprechen gegeben, mich in der Vielfalt Berlins selbst zu entdecken. Ab sofort offen, ehrlich, authentisch, ungeschminkt und ohne Vorbehalt einzutauchen in mein Leben. Die Mauern einzureißen, die ich mir während der vielen Jahre meines Lebens aufgebaut hatte, meinen Ängsten den Stinkefinger zu zeigen und meinen eigenen Ausdruck zu finden, egal wie großartig oder erbärmlich, einfach im tiefen Vertrauen.
Berlin ich bin angekommen, ganz nah bei mir, ganz nah bei dir.
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Inge Brylla GreifswalderStraße 220 10405 Berlin info@ingebrylla.de TEL: 030 688 39 797 Impressum / Datenschutz